Wie kann es passieren, dass man in eine narzisstische Beziehung rutscht, obwohl man es sich nie hätte vorstellen können?
Diese Frage beschäftigt viele, die unfreiwillig Opfer solcher Dynamiken werden. Die unterschiedlichen Arten von Narzissmus und Intensitäten machen es oft schwer, einen Narzissten im Vornherein zu erkennen – sie verstecken sich, teilweise hinter einem scheinbar nettem, unscheinbarem Charakter.
Ich habe Farina Deutschmann interviewt, die eine solche Erfahrung gemacht hat. Sie teilt ihre Erkenntnisse darüber, wie schwer es ist, narzisstische Verhaltensweisen in einer Beziehung frühzeitig zu erkennen.
Farina wuchs in einem liebevollen Elternhaus auf und erlebte vor ihrer narzisstischen Beziehung überwiegend gesunde Partnerschaften. Auch heute befindet sie sich wieder in einer gesunden Beziehung, was ihr einen klaren Blick auf den Unterschied zwischen gesunden und ungesunden Dynamiken ermöglicht. Doch selbst mit diesem Hintergrund war es ihr nicht schnell genug möglich, die ungesunde Natur ihrer früheren Beziehung zu erkennen, als sie noch mittendrin steckte.
Anfangs sind die Warnsignale – sogenannte „Red Flags“ – oft nicht offensichtlich. Es sind oft ichbezogene Formulierungen oder ein Hauch von Sarkasmus, der als harmlos abgetan wird. Sarkasmus kann eine narzisstische Verhaltensweise sein, da er dazu dient, andere herabzusetzen, ohne es direkt anzusprechen. Doch für sich genommen sind diese Anzeichen selten Grund zur Besorgnis.
Das wahre Problem beginnt, wenn sich diese subtilen Anzeichen zu einem gefährlichen Muster verbinden. Farina beschreibt, wie ein sarkastischer Kommentar in Kombination mit einer abwehrenden Reaktion des Partners – „Das war doch gar nicht so gemeint. Stell dich doch nicht so an“ – dazu führt, dass man an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt.
Ein wiederkehrendes Muster in narzisstischen Beziehungen ist die Widersprüchlichkeit zwischen Worten und Taten. Der Partner erlaubt sich Dinge, die er der anderen Person verbietet, ohne diesen Zusammenhang zu erkennen oder anzuerkennen. Dies führt zu einer subtilen Schuldzuweisung, bei der man sich für alltägliche Dinge schlecht fühlt. Farina erlebte dies, als sie sich für den Kauf von Blaubeeren oder vermeintlich „teure“ Ausgaben rechtfertigen musste, obwohl sie eine sparsame Person ist. Dieses verzerrte Bild, das der Narzisst von der Realität malt, lässt das Opfer verwirrt und verunsichert zurück.
Das Perfide ist, dass der Narzisst diese Situationen oft umdreht, sodass das Opfer am Ende selbst als Urheber des Konflikts dasteht. Man fängt an, sich präventiv zu rechtfertigen, selbst wenn noch gar kein Vorwurf geäußert wurde.
So wie es bei Farina war, ist es oft in Beziehungen mit Narzissten:
Wenn der Narzisst spürt, dass sein Opfer an einem Punkt angelangt ist, an dem es ernsthaft über einen Ausstieg nachdenkt oder kurz davorsteht, die Beziehung zu verlassen, kann eine unerwartete Wendung eintreten. Plötzlich scheint der Narzisst wie ausgewechselt: Er zeigt Reue, entschuldigt sich ausführlich und aufrichtig, und es scheint, als hätte er tatsächlich Einsicht in sein Verhalten gewonnen. Er mag sagen: „Es tut mir leid, ich merke gerade selbst, wie manipulativ meine Worte waren.“
Diese plötzlichen, scheinbaren Durchbrüche sind jedoch oft Teil der taktischen Manipulation. Sie sind der Hauptgrund, warum Menschen so lange in toxischen Beziehungen verharren. Für das Opfer ist dieser Moment wie ein Lichtblick: Endlich scheint der Partner zu verstehen, endlich scheint eine Lösung greifbar. Die Hoffnung auf eine „normale“, gesunde Beziehung wird neu entfacht. Man glaubt, der größte Stolperstein sei beseitigt, weil der Narzisst „es jetzt sogar sieht und daran arbeitet“.
Die traurige Realität ist jedoch, dass diese Entschuldigungen selten wirklich aufrichtig gemeint sind. Sie dienen nicht der echten Problemlösung oder dem Wachstum. Stattdessen sind sie ein geschickter Schachzug, um das eigene Image zu wahren („Ich bin ja gar kein schlechter Mensch, ich kann mich ja entschuldigen!“) und das Opfer erneut emotional an sich zu binden. Das Vertrauen wird kurzzeitig wiederhergestellt, nur um später erneut missbraucht zu werden, wenn der Narzisst seine alten Verhaltensmuster wieder aufnimmt. Das Opfer fällt zurück in die toxische Dynamik, gefangen in einem Kreislauf aus Hoffnung und Enttäuschung.
Eine der verheerendsten Folgen einer narzisstischen Beziehung ist der schleichende Verlust des eigenen Selbst. Farina beschreibt dies eindringlich anhand ihrer Träume: Sie zog sich immer wieder Haare oder Kaugummi aus dem Mund. Eine Traumdeutung, die ihr später die Augen öffnete, denn sie bedeutet, dass man seine eigene Wahrheit nicht sprechen kann. Und genau dieses Gefühl prägte ihren Alltag in der Beziehung. Je mehr sie versuchte, authentisch zu sein und sich so zu zeigen, wie sie wirklich ist, desto mehr wurde sie dafür verurteilt, kritisiert oder sogar bestraft. Sie fühlte sich gezwungen, sich zu verstellen, ihre Meinungen und Gefühle zu unterdrücken, um Konflikten zu entgehen oder überhaupt akzeptiert zu werden. Das Resultat war eine wachsende innere Leere und der Verlust der Verbindung zu sich selbst.
Besonders deutlich wurde diese Dynamik in Streitsituationen. Farina wurde immer wieder in die Enge gedrängt, ihre Emotionen und Empfindungen sofort zu erklären und zu rechtfertigen. Der narzisstische Partner nutzte dies, um die Situation augenblicklich zu „entkräften“ oder zu seinen Gunsten umzudeuten. Sein oberstes Ziel war es, seine eigene Sichtweise durchzusetzen und die Gefühle des Opfers zu invalidieren. Das hieß: „Du darfst dich nicht so fühlen, weil ich es ja gar nicht so gemeint habe.“ Die Botschaft war klar: Deine Gefühle sind falsch, deine Wahrnehmung ist verzerrt, meine Wahrheit ist die einzig richtige.
Diese konstante Abwertung führte zu einer tiefen Verwirrung und emotionalen Erschöpfung. Für Farina war es ein aussichtsloser Kampf: Egal, was sie tat, es war immer falsch. Sprach sie ihre Bedenken aus, wurde es gegen sie verwendet. Schwieg sie, war es ebenfalls ein Fehler. Zog sie sich zurück, wurde ihr Rückzug kritisiert. Suchte sie Unterstützung bei Freunden, wurde dies als Illoyalität ausgelegt. Dieses „Man-kann-nicht-gewinnen“-Szenario erzeugt eine lähmende Ohnmacht und raubt jegliche Energie. Man ist so verwirrt, dass man nicht mehr weiß, was richtig oder falsch ist, und das Einzige, wonach man sich sehnt, ist Ruhe und das Zurückgewinnen der eigenen Kraft.
Die Paartherapie ist in diesen Fällen oft nicht die Lösung, wenn der Partner nicht bereit oder in der Lage ist, die notwendige Selbstreflexion und Verantwortung zu übernehmen.
Narzissten fehlt oft die Empathie und die Fähigkeit zur echten Reflektion, die für eine erfolgreiche Paartherapie unerlässlich sind. Solange der narzisstische Partner nicht bereit ist, seine eigenen Verhaltensmuster zu erkennen und wirklich daran zu arbeiten – was extrem selten vorkommt –, bleibt die Paartherapie ein fruchtloses Unterfangen und kann das Opfer sogar noch weiter in der falschen Hoffnung festhalten.
Bei Farinas Partner zeigte sich die narzisstische Dynamik auch im Therapieraum in aller Deutlichkeit. Anstatt seine eigenen Anteile zu reflektieren, nutzte er die therapeutische Situation, um seine Manipulation fortzusetzen. Er verdrehte die Worte der Therapeutin geschickt und behauptete, diese würden Farinas „Probleme“ bestätigen, während seine eigenen Verhaltensweisen komplett ausgeblendet wurden.
Ein klassischer Satz, der diese Dynamik auf den Punkt bringt, fiel schließlich als finaler Auslöser: „Du, Farina, wenn du dich nicht veränderst, dann kann unsere Beziehung nicht funktionieren.“ Dieser Satz, gepaart mit einer anklagenden Geste („mit dem Finger auf sie gerichtet“), zeigte Farina unmissverständlich: Er sah keinerlei Eigenverantwortung bei sich.
Es war der ultimative Ausdruck seiner narzisstischen Projektion und Opferumkehr. Er war nicht bereit, an sich zu arbeiten oder seine Verhaltensweisen zu hinterfragen. Die Therapie wurde für ihn lediglich zu einer weiteren Bühne, um seine Dominanz und die angebliche Fehlerhaftigkeit Farinas zu untermauern.
Verschaffe dir räumliche Distanz!
Bei Farina war das die Rettung. Sie hatte durch eine berufliche Reise genug Distanz, um ihre Beziehung klar von Außen zu betrachten. In dieser Zeit, ohne die ständige Präsenz und den Einfluss des Narzissten, konnte Farina zum ersten Mal wieder klar sehen.
Die ständige Verwirrung, die Schuldgefühle und das Gefühl, verrückt zu werden, begannen sich zu legen. Sie konnte die ungesunde Dynamik ihrer Beziehung aus einer neuen Perspektive betrachten und erkennen, wie tiefgreifend diese ihren Alltag und ihre Psyche beeinflusst hatte.
Ohne die direkte Konfrontation mit der Manipulation und dem Gaslighting konnte sie beginnen, ihre eigene Wahrheit wiederzufinden und ihren Verstand zu sortieren. Der ständige Rechtfertigungsdruck fiel weg, und sie konnte sich wieder auf ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse konzentrieren. Es war der erste Schritt, um den eisernen Griff der Abhängigkeit zu lockern und den schmerzhaften Kreislauf der emotionalen Ausbeutung zu durchbrechen.
Schaffe dir deshalb Freiraum: Ob durch eine Reise, einen Umzug, das vorübergehende Wohnen bei Freunden oder Familie, oder auch „No-Contact“ (keinerlei Kontakt mehr zum Narzissten) – jede Form von Distanz kann eine entscheidende Rolle spielen.
Wenn du in einer ähnlichen Situation steckst und das Gefühl hast, du findest den Ausweg nicht alleine, reserviere dir ein Beratungsgespräch, bei mir und meinem Team.
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